Selbstversuch: Eineinhalb Wochen ohne Geld im Ausland



Vorab muss ich gestehen, dass dieser Selbstversuch kein ganz freiwilliger war. Er begann damit, dass ich während eines Auslandspraktikums in Italien meine Bankkarte verlor. Weil es nicht möglich war, eine neue Karte an meine Auslandsadresse zu schicken, musste ich mich daraufhin auf 1-3 Wochen Wartezeit einstellen, bis ich auf von mir organisierten Umwegen wieder mit ihrer Nachfolgerin vereint sein würde.
Das war vor allem deswegen erstmal sehr unangenehm, weil ich es in den vergangenen Wochen immer aufgeschoben hatte, neues Geld abzuheben. Nicht ganz so dramatisch war die Situation allerdings, weil ich im Rahmen meines Praktikums Übernachtungen, drei Mahlzeiten am Tag und ein Nahverkehrsabo gestellt bekam - um meine Grundbedürfnisse musste ich mir also keine Sorgen machen. Also beschloss ich, die Wartezeit für einen Selbstversuch zu nutzen. Würde es mir überhaupt auffallen, dass ich kein Geld für "Überflüssiges" ausgeben werde?

Meine Erwartungen vorab

Natürlich weiß jeder, der einmal knapp bei Kasse war oder auf etwas gespart hat, wie es sich anfühlt, auf Extras verzichten zu müssen. So auch ich, also stellte ich mich darauf ein, dass es vielleicht etwas langweiliger sein würde als sonst aber insgesamt doch ganz in Ordnung.

Tag 1: Optimismus

Bestandsaufnahme: Ich leere meinen Geldbeutel aus und stelle fest, dass ich für die nächste Zeit noch 1,15€ zur Verfügung haben werde. Außerdem befinden sich einige Sentimentalitäten in meinem Geldbeutel, deren emotionaler Wert mir aber erstmal nicht weiterhelfen wird. Immerhin kann ich bei dieser Gelegenheit überflüssige Stempelkarten und alte Fahrkarten aus meinem Geldbeutel aussortieren. Der erste Tag hatte also fast schon etwas Gutes. "Wird schon nicht so schlimm sein.", denke ich mir.

Tag 2: Ernüchterung

Ich muss einen Tagestrip nach Venedig absagen, den ich mit einer Kollegin vor Ort geplant hatte, weil ich mir die Fahrkarte nicht kaufen kann. Das macht mich doch etwas traurig. Um mich abzulenken, kuschele ich mich ins Bett und schaue ein paar Youtube-Videos. Bei einem Daily Vlog überkommt mich ein starkes Bedürfnis, einen getönten Lipbalm zu kaufen. Ich habe davor bestimmt ein Jahr lang keinen mehr verwendet oder einen gewollt.

Tag 3: Konsequenzen

Ich schaue keine Youtube-Videos mehr weil mich der Konsum-Charakter der Videos gerade zu sehr stört. Ich werde von netten Menschen zu weiteren gemeinsamen Aktivitäten eingeladen, die ich ablehnen muss weil mein Geld weder für ein Eis, noch für einen Kaffee vor Ort ausreicht.

Tag 4: ungeahnte Produktivität

Ich fühle mich ein bisschen von meinen Kolleginnen isoliert. Mir ist langweilig. Daraus erwächst eine ungeahnte Produktivität. Ich bereite an einem Nachmittag drei Blogbeiträge vor, schreibe ein Protokoll für die Uni und designe zwei Motive, aus denen ich später Poster machen möchte. Ich bin stolz auf mich.

Tag 5&6 Langweile

Es ist Wochenende und es regnet beide Tage durch. Meine Produktivität schlägt in Langeweile um. Meine Kaugummis und Kekse sind beide leer. Ich überlege, am Montag eines davon nachzukaufen und sinniere länger darüber, für was ich mein Restvermögen ausgeben möchte.

Tag 7: Überraschung

Der Montag ist ähnlich verregnet und ereignisarm. Am Abend finde ich in der Tasche einer länger nicht getragenen Jacke ein 2€-Stück. Ich freue mich wie ein kleines Kind darüber und stelle mir vor, wie ich am nächsten Tag sowohl Kekse als auch Kaugummis im Supermarkt kaufen können werde.

Tag 8: Vernunft

Ich bekomme zwei weitere Einladungen, später diese Woche zusammen einen Kaffee trinken zu gehen. Also spare ich meine 3,15€ lieber dafür auf, zumindest eine davon annehmen zu können.

Tag 9: Freude

Meine Bankkarte ist angekommen. Ich habe mich erst selten so über einen Brief gefreut.

Eine Woche danach & Insights

Ja, ich war mehrere Kaffee-Dates mit Kolleginnen nachholen. Und ich habe neue Kekse gekauft. Aber keinen Kaugummi weil ich ihn hier doch zu überteuert fand. Ich schaue wieder Youtube-Videos ohne übersteigertes Konsumbedürfnis. Über den verpassten Tagesausflug ärgere ich mich immer noch ein bisschen.
Wie erwartet habe ich nichts grundlegend neues über geringe finanzielle Ressourcen gelernt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich mich über ein Geldstück in der Jackentasche so sehr freuen könnte oder, dass die Omnipräsenz von Konsumanreizen in den Medien einem so stark auffallen könnte. Auch hatte ich unterschätzt, wie sehr ich von sozialen Aktivitäten ausgeschlossen sein würde, wenn ich weder etwas zusammen mit anderen konsumieren, noch mich mit ihnen an der sonnigen Natur erfreuen kann weil es zum Beispiel gerade regnet. Vielleicht hätte ich bei schönem Wetter insgesamt eine bessere Zeit gehabt weil es mehr Aktivitäten gegeben hätte, die ich mit anderen oder auch alleine hätte machen können, ohne Geld dafür auszugeben. Wenn ich in der nächsten Zeit mal wieder das Bedürfnis nach höchst produktiven Phasen haben sollte, lege ich allerdings vielleicht mal wieder eine konsumfreie Woche ein.

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