The beauty of: Halbherzigkeit
Bild: rawpixel
Manche Begriffe rufen eine mitleidige, etwas geringschätzige Grundstimmung in uns hervor. Wie „nett“, „Katzenoma“ oder eben das Wort „halbherzig“.
Wie pathetisch das schon klingt… Schließlich ist das Herz das metaphorische Zentrum unserer Gefühle. Es sollte doch als energetischer, leidenschaftlicher Motor für unsere höchst dynamische Selbstentfaltung dienen. Darum klingt ein halbes Herz nach einem verletzten Innenleben, nach „Herzschmerz“. Es klingt als würde eine Person nicht richtig funktionieren können.
Wäre der Begriff Halbherzigkeit eine Person, würde ich sie mir im ersten Moment so vorstellen: Sie ist schwach, blass und antriebslos. Sie macht einen Job schlecht, gibt früh auf und erreicht ihre Ziele nicht – ich bin dazu verleitet, zu sagen, sie hat eine schwache Persönlichkeit.
Und das Gegenteil davon? Das wäre dann eine Person, die alles, das sie macht mit hundertprozentigem Einsatz tut. Aber ist dieser Einsatz bewundernswert?
Bei genauerem Nachdenken finde ich ihn vor allem dumm.
Halbherzigkeit ist die Vorstufe zu Commitment
Ich gebe zu, so eine Motivation ist beeindruckend und hilft meistens auch, etwas Geplantes umzusetzen. Aber mindestens genauso wichtig ist es doch, zu hinterfragen, was man da gerade genau macht. Zum einen meine ich hier eine grundständige Vernunft: Nur weil man Kuchen mag, sollte man nicht gleich eine Woche nach dem Schulabschluss einen 10-Jahres-Vertrag bei einer Konditorei unterschreiben. Nur weil man seit zwei Wochen eine sympathische Person datet, sollte man sie nicht gleich heiraten und mit ihr in ein exotisches Land auswandern. Nur weil man sich mit 18 vornehmlich von einer bestimmten Band beschallen lässt, sollte man sich ihr Logo vielleicht nicht gleich eintätowieren lassen.
Denn wirklich ausprobieren kann man Dinge nur mit einer grundlegenden Hemmschwelle, einem kleinen Funken Misstrauen seiner aktuellen Lebenssituation gegenüber, einem Plan B in der Hinterhand. Nur so kann man sich erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor man sich festlegt.
Bei einem zu hohen Engagement zu einem zu frühen Zeitpunkt verliert das Finden des eigenen Lebenswegs seinen Spielcharakter. Und genau der ist doch so wichtig, wenn es darum geht, seine Persönlichkeit zu entwickeln.
Du hast mit 16 halbherzig in einer Schulband gespielt? Schön!
Du hast nach dem Abi halbherzig nach Work-and-Travel Programmen gesucht? Super!
Du hast halbherzig ein Architekturstudium angefangen und es
abgebrochen? Ausgezeichnet!
Halbherzigkeit ist kein Zeichen von Angst. Es ist ein
Zeichen, dass man trotz normaler Angst und normalen Unsicherheiten etwas erwägt
und ausprobiert und verschiedene Phasen bewusst durchlebt – nur eben in einem realistischen Rahmen. Sie ist der Weg dahin,
etwas zu finden, auf das man sich wirklich festlegen möchte.

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